Der Auftrag des Wählers
Alle Politiker sprechen von “dem Auftrag” den Ihnen angeblich “der Wähler” gegeben habe… Und ich dachte immer es gäbe rund 60 Millionen Wahlberechtigte, die individuelle Interessen haben!
Genauso wenig wie es “den Wähler” gibt, gibt es “den Auftrag” der Bürger. Es gibt einfach ein Wahlergebnis, dass sich aus den abgegebenen Stimmen der Wahlberechtigten zusammensetzt. Dies sind die Fakten:
299 Wahlkreiskandidaten werden direkt “persönlich” in das Parlament gewählt. Sie brauchen keiner Partei anzugehören. Tatsächlich gehören aber die meisten von ihnen einer Partei an. Im vom Gesetzgeber gedachten Normallfall – wenn keine sogenannten Überhangmandate enstehen – werden weitere 299 Personen über die sogenannten Landeslisten der Parteien in den Bundestag einziehen. Im Normalfall bilden also insgesamt 598 Abgeordnete das Parlament. Diese Abgeordneten werden sich gemäß § 10 GOBT im Bundestag zu Fraktionen zusammenschließen. Die Abgeordneten müssen sich auf eine Person einigen, die sie als Bundeskanzler wählen (Art. 63 GG). Der Bundeskanzler ernennt dann die Minister (Art. 64 I GG), die mit ihm die Regierung bilden.
Die Parteien haben unmittelbar keinen Einfluss auf die Wahl des Kanzlers. Darüber entscheiden alleine die Abgeordneten nach ihrem freien Gewissen (Art. 38 GG). Es sind also rein rechtlich nicht die Parteien sondern die Fraktionen die die Macht im Bundestag haben.
Tatsächlich ist es aber so, dass die meisten Abgeordneten entweder über die Landesliste in den Bundestag eingezogen sind, oder aber als Direktkandidat nur wegen der hinter ihnen stehenden Partei gewählt worden sind. Damit ihre Karriere nach der Legislaturperiode nicht beendet ist, werden die Abgeordneten weitgehend den Vorgaben bzw. Wünschen ihrer Partei folgen, die ja über ihre Aufstellung bzw. den Listenplatz bei der nächsten Bundestagswahl entscheidet.
Nur so ist zu verstehen, dass nach den Wahlen stets die Parteivorsitzenden und nicht die voraussichtlichen Fraktionsvorsitzenden zur Regierungsbildung befragt werden! Aus rein rechtlicher Sicht müsste dies verwundern, da die Parteivorsitzenden nach dem Gesetz mit der Regierungsbildung nichts zu tun haben!
Ich fand es daher gut, dass ein Journalist Frau Merkel fragte, ob sie die Koalitonsgespräche nicht mit Herrn Müntefering führen werde, als der SPD-Kanzlerkandidat Schröder ankündigte, er werde keine Gespräche mit Frau Merkel führen, die auf eine große Koalition unter ihrer Führung hinaus liefen. Es ist gar nicht die Sache von Herrn Schröder Koalitionsgespräche zu führen. Er ist mit Blick auf den kommenden Bundestag nur ein Abgeordneter unter 598 anderen!
Schröder argumentierte er sei zur Regierungsbildung aufgerufen, da seine Partei die stärkste Partei sei. Es stimmt, dass seine Partei die stärkste Partei ist. Leider bezeichnen viele Journalisten CDU und CSU als eine Partei (oft bezeichnet als “Union” oder CDU/CSU). Das ist falsch. Es handelt sich um zwei Parteien, deren Abgeordneten sich traditionell im Bundestag zu einer Fraktion zusammenschließen.
Die Fraktion aus CDU und CSU wird voraussichtlich die stärkste Fraktion im Bundestag bilden. Obwohl das Gesetz nichts darüber aussagt, wer Gespräche über die Regierungsbildung führen darf, ist (angeblich) durch stetige Übung anerkannt, dass dies die stärkste Fraktion im Bundestag tun darf. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass manche fälschlicherweise gesagt haben, dass dieses Recht bei der stärksten “Partei” liege. Gemeint war stets die Fraktion.
Moralisch wäre es daher womöglich verwerflich, wenn nun Schröder Koalitionsgespräche mit den Grünen und Linken führen würde. Rein rechtlich bestehen hiergegen jedoch keine Bedenken. Die Mehrheit der Abgeordneten entscheidet, wer Bundeskanzler wird. Wie die Mehrheit zustande zu kommen hat, ist nicht geregelt. Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass der Bundeskanzler der stärksten Fraktion angehört! So bildete 1969 die Fraktion der SPD mit der FDP-Fraktion eine Koalition, die den Sozialdemokraten Willy Brandt zum Kanzler wählte, obwohl die CDU/CSU die stärkste Fraktion im Bundestag war.
So lächerlich der Auftritt von Bundeskanzler Schröder in der Elefantenrunde nach der verlorenen Wahl auch wirkte: Es war nicht ausgeschlossen, dass er Kanzler bleiben würde.