Joey Kelly beim Radtraining getroffen
Sonntag morgen – Temperatur bei 32° Celsius. Gestern mittag hatte die Ozonkonzentration einen Hochstand erreicht. Die Ärzte warnen vor körperlicher Betätigung. Doch da letzte Woche das Radtraining für mich aus zeitlichen Gründen ausfallen mußte, war es notwendig, heute wieder etwas zu tun. Vor zwei Wochen war ich allerdings bei der heute anstehenden vierstündigen Sturmvogel-Tour völlig entkräftet eingebrochen. Diese Tortur kommt für mich bei Einsatz meines gesunden Menschenverstandes trotz allem sportlichen Ehrgeiz daher unter den heutigen Bedingungen nicht in Frage. Ich hatte jedoch gehofft dort auch einige Freunde und Vereinskameraden zu treffen und mich so sehr auf die Herausforderung gefreut. Die Vernunft hat also gesiegt? Das kommt natürlich darauf an, was ich stattdessen mache. Ich könnte mich noch am Vormittag für ein Stündchen auf das Rad schwingen und auf ebener Strecke die 20 km fahren, die kommende Woche beim Köln-Triathlon als Raddistanz auf dem Programm stehen. Gesagt, getan. Ich habe mir die relativ verkehrsreiche aber weitgehend unterbrechungsfreie Strecke nach Köln augesucht. Um 10 Uhr bin ich also zunächst locker im kleinen Gang über die Kölnstraße aus der Bonner Innenstadt herausgefahren. Start der Soppuhr hinter Buschdorf. Den großen Gang eingelegt. Und jetzt kräftig aber gleichmäßig treten und ziehen!
Vereinskamerad Henning Fischer, der auch in Köln dabei sein wird, hatte mir vorgeschlagen, ich sollte dort versuchen durchschnittlich 40 km/h über die 20 km zu fahren. Ich habe mir heute mal (realistische?) 35 km/h vorgenommen. Die ersten paar Meter klappt das prima. Doch schon der erste kleine Anstieg erfordert zusätzliche Kraft, die ich schnell in den Beinen spüre. Nach ein paar Minuten komme ich aber in Gang und es läuft bei 35 bis 36 km/h super. Im weiteren Verlauf der Fahrt schwankt die Geschwindigkeit etwas. Ich erreiche auf einer Abfahrt sogar 44 km/h. Leider erwische ich doch einige Ampeln in der Rotphase. So daß meine Gesamtzeit steigt ohne daß ich auch nur einen Meter vorwärts komme. Diese Standzeiten gehen aber nicht in die von meiner Uhr ermittelte Durchschnittsgeschwindigekeit ein.
Hinter Wesseling werde ich dann doch etwas langsamer. Aber 33 km/h unterschreite ich nie. Bisher sind mir schon einige Radfahrer begegnet. Keiner fuhr schneller als ich. Im Gegenteil, ich habe schon zwei Rennradfahrer überholt. Mir ist heute aufgefallen, daß sich die Rennradfahrer tatsächlich wie auch die Läufer gegenseitig grüßen. Nur heben Radfahrer nicht die Hand, sondern nicken mit dem Kopf.
Bei Köln Godorf begegnet mir dann eine Ausnahme der gerade beschriebenen ökonomischen Grußweise. Auf der Gegenfahrbahn kommt mir der bisher schnellste Kollege auf einem knallgelben Rennrad mit passendem gelbem Trikot entgegen. Lässig streckt er mir seine Hand zum Gruß entgegen. Ich reagiere und grüße wie vom Laufen gewöhnt durch Heben einer Hand zurück. Als mich der Radfahrer passiert, schaue ich ihn genauer an, da mich der außergewöhnliche Gruß überrascht hat. Der Mann trägt einen blonden Haarschwanz unter dem Helm. Es war Joey Kelly! Klar, der wohnt doch irgendwo hier. Er ist, wenn man so will, ein kleines Idol für mich. Ich finde es unglaublich bewundernswert wie Joe Kelly seinen Musikerberuf mit seinen vielen Ausdauerabenteuern vereinbart. Der Mann ist vielleicht der vielseitigste Ausdauerathlet in Deutschland. Die Multisportart Triathlon wie sie bei uns betrieben wird ist für ihn nur ein Ausschnitt seines Sportprogramms. Er läuft halt auch mal durch Alaska, wenn ihm nach der Herausforderung ist. Ich erinnere mich an eine Reportage die ich über ihn im Fernsehen gesehen habe und fühle mich gleich motiviert schneller zu fahren.
Jetzt bin ich schon in der Nähe von Köln Zentrum. Eine Straßenkreuzung, weiter geradeaus geht es nicht mehr. Ich drehe um und fahre den gleichen Weg zurück nach Bonn. Nun zunächst etwas langsamer. Gut 30 km/h fahre ich noch. Dann begegnet mir ein professioneller Kollege, der mir eben schon mal entgegenkam und mir mit einem musternden Blick gekonnt zugenickt hatte. Ich hänge mich im Abstand von 20-30m hinter ihn. Wichtig für mich, den Windschatten-Abstand einzuhalten. Er fährt zwischen 31 und 35 km/h – das ist prima. Ich bleibe bis zu einer roten Ampel dran. Er ignoriert die Ampel. Der Sichtkontakt ist bald abgerissen. Ich komme wieder an ihn heran, doch an der nächsten Ampel das gleiche Spiel. Schließlich sehe ich am Horzont jemanden nach Keldenich abbiegen. Schade, ich muß weiter geradeaus. Das Tempo halte ich in etwa.
Die langen geraden Strecken bieten sich prima an um eine Banane zu essen. Inzwischen bin ich darin schon Profi. Linke Hand am Lenkrad. Rechte Hand greift in die Rücktasche. Den Anfang der Banane in den Mund gehalten. Kerbe reingebissen. Jetzt den Strunk zwischen die Zähne und mit den Zähnen die Banane schälen. Das geht schneller als Verpackungen von Müsliriegeln. Banane in den Mund gestopft. Schale in den Wald geworfen. Sie verrotet ja – im Gegensatz zu den Plastikfolien um die Powerriegel. Nun noch mit einem Spritzer Wasser nachgespült – fertig!
Schließlich erreiche ich nach 1:15 h Bonn-Buschdorf. Die zurückgelegte Gesamtstrecke beträgt 37,8 km. Das enstpricht einer tatsächlichen Durchschnittsgeschwindigkeit von nur 30 km/h. Wenn ich die Standzeiten abziehe, die durch die Zwangspausen an den Ampeln enstanden, in denen ich mich zugegebener Maßen gerne erholt habe, dann komme ich immerhin auf 32,3 km/h. – Naja: Ziel verfehlt, aber schön war´s trotzdem. Beim Köln-Triathlon werde ich wohl 35 km/h anpeilen. Die sind über 20 km nach meiner heutigen Erfahrung sicher auch machbar.
Zuhause angekommen zerre ich mir schnell das Trikot vom Leib und schlüpfe aus den unbequemen Radschuhen heraus und hinein in die Laufschuhe. Schlüssel mitgenommen und los geht es. Ich will die Gelegenheit nutzen nach einer Radfahrt die Beinmuskulatur an das Laufen zugewöhnen. Es geht erstaunlich gut. Aber da es so warm ist höre ich nach ein paar hundert Metern wieder auf. Ich bin zufrieden. Meine Aufmerksamkeit zieht in Höhe des Bonner Hafens eine ältere Dame (bestimmt über 50) auf sich, die laut jauchzend im Rhein an mir und der gerade vorbeikommenden Wasserschutzpolizei vorbeischwimmt. Eine weitere ältere Dame, die auf einem Fahrrad an mir vorbeifährt, sieht meinen amüsierten Gesichtsausdruck und meint: “Das ist meine Freundin. Sie ist ein bißchen verrückt.” Ja, … so ist unsere Welt nun einmal. Jedem das seine!